Achtsamkeitsbasierte Therapie

Ich verstehe achtsamkeitsbasierte Therapie als eine Arbeitsweise, die unter verschiedensten Bedingungen angewandt werden kann: Mal innerhalb einer Einzeltherapie, mal in einer Krisensituation auf Station, mal als Gruppentherapie mit einem fortlaufenden Programm (in offenen oder geschlossenen Gruppen unterschiedlicher Dauer), bei verschiedenen Indikationen etc. Insofern scheint es mir sinnvoll, das jeder therapeutisch Tätige etwas davon versteht, so wie er etwas von Entspannungsübungen, Kriseninterventionen, Gesprächsführung, Ressourcenorienterierung, Exposition, der Gestaltung der therapeutischen Beziehung usw. verstehen sollte.

Achtsamkeitsbasierte Therapie bedeutet:
1. Achtsamkeit ist explizit Thema.
2. Es geht in erster Linie um die Haltung, nicht um Inhalte (spezielle Denkmuster, Gefühle, Konflikte etc.)
3. Achtsamkeit wirkt unmittelbar.
4. Achtsamkeit sollte geübt werden. Die Übungspraxis kann „formal“ sein, also festgelegten Übungen folgen, oder „informell“,
d. h. sich auf Tätigkeiten beziehen, die routiniert und ohne besondere Herausforderungen ablaufen.
5. Die Selbstverantwortung / -wirksamkeit der Teilnehmer wird gestärkt.
6. Therapeutische Veränderungen geschehen indirekt, nicht durch aktive Veränderungen.
7. Patienten und Therapeuten üben gleichermaßen.

Zu (1): Transparenz ist wichtig, weil der Patient sonst nicht die Arbeit in die eigenen Händen nehmen und bewusst üben kann. Implizit Achtsamkeit zu vermitteln, ist sicher sehr gut, ist aber noch keine “achtsamkeitsbasierter Therapie”.

Zu (2): Der entscheidende Punkt. Achtsamkeitsbasierte Therapie (ABT) arbeitet auf der Metaebene. Es geht um den Umgang mit Gefühlen, Gedanken, anderen Menschen, Situationen. Mit dieser Idee steht sie nicht alleine und die Idee ist auch nicht neu. Theoretisch findet sie sich in der anthropologischen Psychiatrie, praktisch ist sie Teil der frühen Achtsamkeitsarbeit seit den 20er Jahren, in der Psychiatrie Grundlage der Skillstrainings, wie zuerst in den 60erJahren für schizophrene Patienten entwickelt wurden. Dennoch ist diese Form von Psychotherapie immer noch ungewöhnlich und für Patienten wie Therapeuten auch nicht leicht durchzuhalten. Patienten kommen oft mit anderen Erwartungen.

Zu (3): Achtsamkeit wirkt also nicht deswegen, weil sie Deutungen ermöglicht, Material zu Tage fördert oder weil man mit ihr eine neue Lösung für unabgeschlossene Szenen oder Gestalten der Vergangenheit findet. Sie kann ohne weitere zusätzliche Technik wirken. Das heißt nicht, dass sie nicht mit solchen und anderen Techniken sinnvoll kombiniert werden kann, aber es sollte dann für die Patienten transparent sein, dass man jetzt andere Interventionen zu Hilfe nimmt. Achtsamkeit ist ungewohnt und kommt schnell unter die Räder. Wann sie sozusagen pur und wann sie in Kombination angewendet werden sollte, ist eine Frage der weiteren Forschung.

Zu (4): Gilt natürlich nicht für Kriseninterventionen mit Patienten, die noch nie etwas von Achtsamkeit gehört haben. Man wird hier auch in der Regel nur einzelne Elemente erörtern und verwenden können, z. B. Gegenwärtigkeit, Nicht-Bewerten bzw. bestimmte Techniken gebrauchen können (“3-2-1”, Arbeit mit “und” zur Auflösung eines Tunnelblicks etc. ). S. zu diesem Punkt auch die “FAQ”.

Zu (5): Eine wichtige Folge und ein großer Vorteil, der sich aus (2) ergibt.

Zu (6): Die Therapie funktioniert nicht darüber, dass Patienten ihre Verhaltensweisen, Denkmuster, Gefühle usw. besser verstehen, in Frage stellen und verändern. Der Wunsch danach mag als Motivation unabdingbar sein, aber der Weg zur Veränderung ist ein anderer. Achtsamkeit ist der Weg des Nicht-Handelns, sieht man davon ab, dass sie selbst geübt und angewandt werden muss. Patient und Therapeut stecken also ihre Energie in den Erwerb bzw. die Vermittlung einer neuen, zusätzlichen Lebenseinstellung, durch die sich dann einzelne Verhaltensweisen, Denkmuster, emotionale Reaktionen etc. verändern. Viele Lebensprobleme und psychische Störungen entstehen durch voreiliges, kurzschlüssiges, festgefahrenes Handeln und Denken, das die konkrete, aktuelle Situation nicht genügend berücksichtigt, durch einen Aktivismus, der den Kontakt zur Wirklichkeit vermeidet und die Dinge dadurch komplizierter macht als sie vielleicht schon sind. Sich nicht in Frage stellen und verändern zu müssen, entlastet zudem viele Patienten, weil sie das ohnehnin schon ständig tun. Es verhindert auch Endlostherapien bzw. ständig neue Therapieanläufe.

Zu (7): Die Therapeut-Patient-Beziehung ist eher partnerschaftlich. Übertragungen etc. sollten natürlich erkannt und berücksichtigt werden. Sie sind aber kein wesentliches Medium dieser Arbeit und können durch die Betonung der gemeinsamen Übungshaltung minimiert werden, was sich z. B. bei Borderline-Patientinnen bewährt (sofern es denn gelingt). Es gibt natürlich viele wirksame Bindungs- und Beziehungsaspekte in der Achtsamkeitsarbeit, z. B. auch durch die Gruppenprozesse. Sie sind hilfreich, aber die Frage ist dann wie  immer die der Nachhaltigkeit. Achtsamkeit setzt nicht darauf und es bleibt zu hoffen, dass die Wirksamkeit der Achtsamkeitsarbeit auch nicht auf diesen Faktoren beruht, aber erforscht ist es nicht.